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Der Bewegungsapparat von Kleinkindern – Interview mit Dr. Ulrich Scheibl

Kinder- und Neuroorthopäde Dr. Ulrich Scheibl gibt uns einen informativen Einblick in die wichtigsten Themen rund um den frühkindlichen Bewegungsapparat: "Im Kindesalter kann man noch sehr vieles erreichen, was später nur schwer zu behandeln wäre."

Unser Bewegungsapparat begleitet uns durch unser ganzes Leben. Unsere Füsse und Beine tragen uns durchs leben, unsere Gelenke und Muskel sind die wichtigen Bindeglieder für gesunde Bewegungen und unsere Wirbelsäule ist ohnehin unser oft so sensibles Rückgrat. Wie wichtig Bewegung ist, zeigt sich besonders in der kindlichen Entwicklung. Bewegungsabläufe die wir früh lernen, haben einen wesentlichen Einfluss auf unsere weitere Entwicklung. Gerade zu Beginn unseres Lebens ist unser Bewegungsapparat noch ein unbeschriebenes Blatt, weshalb es so wichtig ist bereits früh auf eine optimale Förderung unserer Muskulatur zu achten. Herr Dr. Ulrich Scheibl weiss hierzu bestens Bescheid, als Kinderorthopäde ist er tagtäglich mit Fehlstellungen und Beschwerden jeden Kinderalters konfrontiert. Im Interview erzählt er über die häufigsten Fehler und Beschwerden, wichtige Tipps zur Förderungen des Bewegungsapparates und schildert uns, was die wichtigsten Merkmale eines guten Lauflernschuhs sind.


Herr Dr. Scheibl, Sie sind als Kinderorthopäde tätig und haben seit einigen Jahren eine eigene Ordination. Was hat Sie dazu bewegt, sich mit den Bewegungsapparat von Kindern zu beschäftigen?

Das hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben. Meine Ausbildung in der Orthopädie habe ich an der Orthopädischen Kinderklinik Aschau, der größten kinderorthopädischen Klinik Deutschlands, absolviert. Aus dem ursprünglich geplanten einen Jahr an der Kinderorthopädie wurden letztlich drei Jahre. Im Anschluss bin ich an das Orthopädische Spital Speising (Anm. d. Red.: Österreichs führende Spezialklinik für Orthopädie) gewechselt und habe mich weiter in der Kinder- und Neuroorthopädie vertieft.

Warum ist es gerade die Kinderorthopädie geworden? Was unterscheidet diese von der „Erwachsenen-Orthopädie“?

Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass man die meisten Erkrankungen des Bewegungsapparates bei Kindern noch therapieren kann und damit einen wesentlichen Einfluss auf den späteren Verlauf und die Gesundheit des Menschen hat. Je früher man bspw. Fehlstellungen erkennt, desto leichter lassen sich diese wieder richten. Zudem sind orthopädische Operationen im Kindesalter oft noch nicht notwendig, während die gleichen Erkrankungen bei Erwachsenen nur durch Operationen therapierbar sind. Rückblickend betrachtet war dieser Unterschied wohl einer der Hauptgründe, weshalb ich mich in diesem Bereich spezialisiert habe.

„Bei Kindern kann noch vorbeugend behandelt und therapiert werden. Im Erwachsenenalter sind viele schmerzhafte Fehlstellungen schwerer korrigierbar.“

Wann suchen sich denn Eltern Unterstützung bei Ihnen? Was sind die häufigsten Anliegen, mit denen sich Eltern an Sie wenden?

Die meisten Eltern kommen mit ihren Kindern wegen Senk- bzw. Knickfüssen, Innenrotationen – bspw. wenn die Zehenspitzen der Kinder beim Gehen nach innen zeigen – oder X-Beinen. Weitere häufige Problematiken sind Spitzfussgeher und O-Beine. Dabei kann oft auch Entwarnung gegeben werden, denn die Beinstellung entwickelt sich beispielsweise in den ersten Jahren eines Kindes. Anfangs, nachdem Kleinkinder gehen gelernt haben, sieht man viele Kinder mit O-Beinen. Danach strecken sich die Beine und oft sieht man dann, meist im Volksschul- bzw. Grundschulalter, dass die Kinder X-Beine haben. Das ist ebenso meist völlig normal und ein Teil der gesamten Entwicklung. Als Orthopäde eingreifen muss man meist dann, wenn die Kinder bspw. mit 12 Jahren noch immer X-Beine haben oder die Beinstellung so extrem ist, dass die Knie aneinanderstossen.

Welche häufigen Fehler beobachten Sie aus orthopädischer Sicht im Umgang mit Babys und Kleinkindern?

Ein großes Thema ist das Sitzen. Babys können meist erst ab dem Alter von rd. 6 Monaten frei sitzen, das heisst ohne Unterstützung. Davor ist die Wirbelsäule und die Muskulatur noch nicht ausgereift genug. Gerade vor dem Erreichen dieses Alters sollten Eltern darauf achten, ihre Kinder nicht zu oft oder zu lang gestützt sitzen zu lassen. Bspw. werden Babys manchmal gerne auf die Couch gesetzt und mit Pölstern abgestützt, sodass sie nicht umkippen. Das ist nicht förderlich für die frühkindliche Wirbelsäule und kann Fehlstellungen fördern.

Heutzutage besonders beliebt sind auch alle Arten von Babywippen und -liegen. Die Problematik ist, wenn auch etwas abgeschwächt, jedoch die gleiche. Deshalb sollten Babys nur ab und zu und jeweils nicht länger als 20-30 Minuten in einer solchen Babywippe liegen. Zudem würde ich, sofern entsprechende Einstellungen möglich sind, empfehlen die Babywippe möglichst flach einzustellen. So wird die Wirbelsäule weniger belastet.

„Babywippen und Babyschalen sind zwar sehr praktisch, jedoch bei übermäßiger Verwendung nicht förderlich für die Entwicklung der Wirbelsäule.“

Wie ist das dann mit Babyschalen und dem Autofahren?

Babyschalen im Auto können genauso schädlich sein, es kommt – wie bei allem – auf die Portion an. Kurze Fahrten sind weniger das Problem, solange man nicht den ganzen Tag unterwegs ist. Wenn man immer wieder mal eine längere Fahrt macht, wird das die frühkindliche Wirbelsäule auch vertragen. Bei längeren Fahrten sollte man jedoch eher darauf achten, ab und zu mal eine Pause zu machen. Die kann man dann auch gleich nutzen um evtl. zu füttern oder die Windel zu wechseln. Zudem gibt es heutzutage auch schon gute Babyschalen, deren Rückenlehne zum Hüftbereich relativ flach verläuft und dadurch weniger Druck auf der Wirbelsäule lastet.

Als Jungeltern wird man bereits kurz nach der Geburt darauf aufmerksam gemacht, dass man das Neugeborene nicht immer nur auf den Rücken legen sollte. Was hat es damit auf sich?

Das hat im Wesentlichen mit der Entwicklung des Schädels zu tun. Wenn Babys zu viel auf flachen Oberflächen am Rücken liegend hingelegt werden, kann eine Abflachung des Hinterkopfes entstehen. Das ist zwar grundsätzlich nicht gesundheitsschädlich sondern hat eher einen ästhetischen Hintergrund. Das bedeutet aber auch nicht, dass man es immer nur seitlich oder am Bauch hinlegen sollte. Von Letzterem wird heutzutage ohnehin abgeraten da es Studien gibt, die einen Zusammenhang mit der Bauchlage und dem plötzlichen Kindstod herstellen. Aus orthopädischer Sicht empfehlen wir daher eine gesunde Abwechslung zwischen Rücken- und Seitlage. Bei der Seitlage muss man gerade bei sehr jungen Babys noch mit Kissen, bspw. Stillkissen, unterstützen. Gerne können Eltern Ihr Baby auch am eigenen Bauch schlafen lassen, sofern man selbst dann auch nicht einschläft. Das stärkt zusätzlich auch die Bindung zum Elternteil und kuscheln ist gerade zu Beginn des Babylebens sowieso wichtig.

Heutzutage gibt es zwar verschiedene Kopfkissen, die eine Einbuchtung für den Hinterkopf haben, dennoch sollte man sich nicht zu sehr auf diese verlassen. Auch bei Verwendung solcher Kissen kann bei übermäßig häufiger Rückenlage eine Abflachung des Hinterkopfes entstehen.

Jetzt spulen wir die Zeit ein wenig vor, das Baby hat gehen gelernt und braucht bald die ersten Schuhe. Oft wird um die sogenannten Lauflernschuhe ein großes Thema gemacht. Warum?

Nachdem die Fussmuskulatur bei so jungen Kleinkindern noch im Anfangsstadium der Entwicklung steckt, sollte diese auch gefördert werden. Die Füsse brauchen in dieser Zeit möglichst viel Flexibilität, sodass die Muskel lernen können mit unterschiedlichen Untergründen umzugehen. Zudem wird die Sensorik gefördert. Auf Gras, Teppichen, Fliesen und so weiter bekommen Kinder neue Eindrücke von verschiedenen Oberflächen. Sobald Kinder gehen können, stehen auch schon die ersten Spaziergänge im Freien an. Spätestens da braucht man geeignete Schuhe, die auch diese Entwicklung bestmöglich fördern.

„Mit einer gesunden Fußentwicklung wird der Grundstein für eine nachhaltige Entwicklung des gesamten Bewegungsapparates gelegt.“

Zudem darf man nicht vergessen, dass die Füße ein wichtiger Teil unseres gesamten Bewegungsapparates sind. Fehlstellungen bei den Füßen wirken sich auf die Stellung der Beine, Hüfte und in Folge Wirbelsäule aus. Das ist eine miteinander verbundene Gliederkette, in der sich Fehlstellungen später durch Schmerzen bemerkbar machen können. Deshalb ist es gerade aus orthopädischer Sicht wichtig, hier vorzubeugen und eine gesunde Entwicklung zu fördern.

Was sind denn die wichtigsten Merkmale von guten Lauflernschuhen?

Aus meiner Sicht ist die Sohle daher das wichtigste Kriterium. Zuhause sollte man das Schuhwerk maximal auf Hausschuhe mit dünner Ledersohle beschränken. Ideal ist Barfussgehen oder alternativ mit (Anti-Rutsch-)Socken. Sobald es dann ins Freie geht, sollten Schuhe mit möglichst biegbarer Gummisohle gewählt werden. Wenn sich die Sohle mit einem Finger nach hinten biegen lässt, ist die Sohle flexibel genug.

Weiters ist auch wichtig, dass der Zehenraum hoch und breit genug ist. Kinder wollen und sollen ihre Zehen bewegen und spreizen. Ein zu enger Schuh verhindert das und wäre deshalb nicht zu empfehlen. Das ist der Grund, weshalb viele gute Lauflernschuhe vorne merklich breiter sind als hinten.

Natürlich ist es aber nicht immer möglich, ideale Schuhe zu verwenden. Bei Winterstiefeln lassen sich dickere Sohlen oft nicht vermeiden, was jedoch nicht zu tragisch ist, solange das Kind nicht zu lange in diesem Schuh „steckt“.

Herr Dr. Scheibl, vielen herzlichen Dank für die interessanten und hilfreichen Einblicke.


Zur Person

Herr Dr. Ulrich Scheibl hat ein Studium der Humanmedizin an der Universität Wien sowie die Facharztausbildung zum Orthopäden und orthopädischen Chirurg absolviert. Er war unter anderem in der Orthopädischen Kinderklinik Aschau, der größten deutschen kinderorthopädischen Klinik, sowie am Orthopädischen Spital Speising in Wien tätig und führt seit Jahren seine eigene Ordination in Wien.

Zudem ist er ebenso als Kinderorthopäde im Kinderarztzentrum Schumanngasse in Wien tätig und betreut verschiedene weitere Rehabilitations- und Orthopädieeinrichtungen (bspw. St. Anna Kinderspital, Kinder- und Jugendrehabilitationszentrum Bad Erlach).

http://www.ortho-scheibl.at

Kinder- und Neuroorthopäde Dr. Ulrich Scheibl

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